Mittwoch, 7. August 2019

Pressefreiheit - Analyse eines westlichen Werteverfalls

In den westlichen Staaten verschiebt sich die Bedeutung der Pressefreiheit. Aus der Freiheit über alles zu berichten, worüber andere nicht wollen, dass berichtet wird, wird die erzählerische Freiheit, etablierte Narrative phantasievoll zu füllen. Eine Beweisführung.
Gert Ewen Ungar
Es ist im Kern ein ungeheuerlicher Vorgang: Die britische Medienaufsicht Ofcom verurteilt RT zu einer Strafe von 200.000 Pfund. Der Vorwurf lautet, RT habe die Position der britischen Regierung bei der Berichterstattung im Fall Skripal und zum Krieg in Syrien nicht angemessen berücksichtigt. Noch einmal langsam zum besseren Verständnis: Es geht nicht darum, dass RT nachweislich falsch berichtet hätte. Die Strafe wird außergerichtlich von der Behörde verhängt, weil RT die Position der britischen Regierung im Falle Skripal und in Bezug auf Syrien nicht angemessen repräsentiert und damit das Gebot der Ausgewogenheit verletzt habe.
In Russland kommentierte man, die Strafe sei freilich bezahlbar, allerdings sei sie vermutlich nur ein Testballon. In der Tat ist die Entwicklung aus mehreren Gründen bedenklich. Die Kriterien, die hier angelegt werden, sind schwammig und öffnen der Willkür Tür und Tor. Was heißt nicht angemessen? Eine quasi staatliche Behörde beurteilt die Angemessenheit der Berichterstattung über die Regierung? Solche Vorgehensweisen erwartet man von autoritären Regimen, aber nicht von Gesellschaften, die sich der EU-Charta und westlichen Werten verpflichtet fühlen.
Wäre Derartiges in Russland passiert, würde die Tagesschau vermutlich mit einem eigenen Brennpunkt aufwarten, die Gazetten wären voller Empörung über den "Machthaber Putin", und die transatlantischen Thinktanks und NGOs würden sich entsprechend aufplustern. In diesem Fall allerdings bleibt es ruhig, denn es handelt sich um Großbritannien. Der deutsche Mainstream berichtet in kleinen Meldungen neutral bis ausgesprochen verständnisvoll gegenüber der Maßnahme der britischen Behörde. Garniert wird das mit den üblichen Vokabeln gegenüber RT, das ein "Propaganda-Instrument des Kreml" sei und die Pressefreiheit nur ausnutze. Dazu sei angemerkt, Pressefreiheit lässt sich nicht ausnutzen, sondern nur ausfüllen. Was ausbleibt, ist die Darstellung, was für einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit dieses Vorgehen darstellt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen